Berichte aus dem Gemeindeleben vor langer Zeit

Jugendgruppe "Stafette"

1978

Von 1978 bis 1985 gehörte ich der Jugendgruppe „Stafette" an. Wir trafen uns freitags um 18 Uhr im Pfarrhaus der Lutherkirche. Auch über die Gruppenstunden hinaus gab es zahlreiche Aktivitäten. Ich erinnere mich an Wanderungen, Ferienfreizeiten, „Treppenhauspartys" im Pfarrhaus, Mahnwachen für nukleare Abrüstung, Basteln für den Kindernothilfe-Bazar, Singen im Altenheim, zahllose Gespräche und Diskussionen, Gebetszeiten, Osternächte, Töpfern in der Fußgängerzone, gemeinsames Forschen in der Bibel, Singen und Musizieren bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Erwachsene Gründerin und Begleiterin der Jugendgruppe war Dorle Marx, Ehefrau des damaligen Pfarrers Traugott Marx. Sie hatte ein großes Herz für uns Jugendliche und war bereit, Glauben und Leben mit uns zu teilen. Ihre Botschaft: „Es gibt einen lebendigen Gott, der dich liebt. Er offenbart sich in der Bibel und du kannst mit ihm reden, wie mit einem Freund. Wenn du dich auf eine Beziehung zu ihm einlässt, wird das jeden Bereich deines Lebens prägen"! Diese Botschaft war so „ansteckend", dass viele von uns Jugendlichen sie aufnahmen und begannen, Klassenkameraden und Freunde in die Kirche einzuladen. Anfang der achtziger Jahre kamen über 50 Jugendliche gleichzeitig in eine der beiden Jugendgruppen der Lutherkirche. Dabei war Dorle Marx keine Leiterin, die allgemeingültige Lebensregeln predigte oder einheitliche Verhaltensweisen einforderte. Durch ihren Leitungsstil wurden wir Jugendliche vielmehr zu großer geistlicher Selbständigkeit und persönlicher Verantwortung herausgefordert. Es war klar, dass wir immer wieder neu darum ringen mussten, was und wie wir glaubten, welche Prioritäten wir setzten, wie unser weiterer Lebensweg aussehen sollte etc. Und wir kamen durchaus zu kontroversen Ergebnissen. Dorle Marx vermittelte uns: „Ich kann dir nur sagen, was ich für mein Leben bis jetzt erkannt habe. Wie du selbst leben sollst, weiß ich nicht - aber wie ich meinen Gott kenne, wird er es dir schon klar machen." In ihrer authentischen, radikalen und gleichzeitig gelassenen Haltung ist Dorle Marx für mich persönlich auch heute noch ein Vorbild. Die meisten Mitglieder der Jugendgruppen aus dieser Zeit verließen Pirmasens und zogen für Studium oder Ausbildung in andere Städte. Deshalb konnten die Erfahrungen, die wir als Jugendliche gemacht und die Kompetenzen, die wir entwickelt hatten, nur zum Teil in die Lutherkirche „zurückfließen". Ich weiß aber von vielen von uns, die sich an anderen Orten gesellschaftlich engagierten um Gemeinde aufzubauen. Ich freue mich darauf, anlässlich des Jubiläums der Lutherkirche möglichst viele Leute von damals wieder zu treffen.

Ulrike Kopp, geb. Mörchen

Kindergottesdienst an der Lutherkirche

1971

Zu Anfang wurde der Kindergottesdienst noch zentral für Luther- und Johanneskirchengemeinde um 11 Uhr in der Lutherkirche von Pfarrern und Helfern in verschiedenen Gruppen durchgeführt. Später war Gemeindehelferin Elisabeth Reimer hauptverantwortlich. Ab 1971 fand der Kindergottesdienst der Lutherkirchengemeinde im Musikzimmer der Hauptstraße 58 statt. Wir trafen uns wöchentlich mit den Helfern, die an diesem Sonntag mitarbeiteten, um uns vorzubereiten. In der Adventszeit fand an einem der Sonntage ein Familiengottesdienst statt, den die Kinder des KiGo zusammen mit den Sing- und Musiziergruppen gestalteten. Themen waren unter anderem "Jesus, das Licht der Welt", "Noah geht zur Krippe", "Weihnachten - das Fest der Familie!" Welcher Familie? 1989 und 1990 feierten wir mit allen Kinder- und Musiziergruppen (Flöten, Bläser) den Familiengottesdienst am Heiligen Abend jeweils um 15 Uhr im Luthersaal. Einige Male feierten wir die Erntedankgottesdienste zusammen mit den Kindern des Kindergartens u.a. zu den Themen Kinder bringen Gaben, Wovon leben wir Menschen. Zudem gab es Freizeiten mit den KiGo-Kindern und jährlich 1-2 KiGo-Tage, meistens nach den Familiengottesdiensten. Feste Elemente waren Spielen, Wandern und das abschließende Kaffeetrinken mit den Eltern.

Dorle Marx

Erinnerungen von Dorle Marx

1961 begann es mit einer sehr unruhigen Nacht. Neben der Lutherkirche, im Pfarrhaus, hörte ich stündlich den Klang der Glocken: Wachet auf, ruft uns die Stimme! Meinen Beruf hatte ich mit der Heirat aufgegeben (es war damals üblich, wenn man einen Pfarrer heiratete. Ich bereue dies nicht). Unser Kinderwunsch blieb unerfüllt, so war ich offen für Aufgaben, wie ich sie mir so niemals vorgestellt habe. Aus der Idee einer internationalen. deutsch-französischen Mädchenfreizeit (die gut bezuschusst worden wäre, so hatten es die Verantwortlichen geplant und mich als deutsche Leiterin eingesetzt) wurde 1966 eine Mädchenfreizeit mit 17 13-jährigen Mädchen aus Pirmasens, unter Mithilfe der damals 16-jährigen Melanie Hörig (jetzt Schantz). Zum Glück hatten die Franzosen abgesagt. Ich wäre mit den vorgegebenen Themen heillos überfordert gewesen. Ich wundere mich noch heute, wie gut diese 14 Tage 'über die Bühne gingen'. Täglich hatten wir 1 Stunde Bibelarbeit mit Texten aus der Bergpredigt. Mich hat diese Freizeit sicherlich am meisten beschäftigt und geprägt. Meine Bitte damals war: Lieber Gott, wenn ich das machen soll, musst Du mir auch helfen! Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, nein zu sagen. Jedenfalls hat Gott diese Bitte in all den Jahren über die Maßen erhört. Ich kam irgendwann zu der Erkenntnis: Wenn ich Gott vertraue, haut er mich nicht in die Pfanne. Im Zug auf der Heimfahrt meinte eins der Mädchen: „Mir mache e Grupp uff!“ Das war die Geburtsstunde der Stafette. Daraus entstand eine über die Jahre blühende Jugendarbeit mit viel Kreativität, Ideen und Aktivitäten. Irgendwann tauchte der erste junge Mann auf, bis es eine gut gemischte Gemeinschaft wurde. Ziel und Mitte unseres Miteinanders sollte immer ein verbindliches Leben mit Jesus Christus sein. Es gab sehr viele Begabungen ganz unterschiedlicher Art, die sich in der Programmgestaltung zeigten. Manchmal saßen fast 50 „Stafettis" im „Landgrafensaal" in der Hauptstraße 58. Irgendwann musste es auch eine Gruppe für Jüngere geben, die Diens(t)tagsgruppe. Gruppenübergreifend gestalteten wir Jugend- und Familiengottesdienste, Familienfreizeiten, die „Freizeit am Ort" und den Bazar. Der jährliche Bazar, der 1973 nach einem Diaabend mit Bildern von "Brot für die Welt" geboren wurde, an den Samstagen vor dem 1. und 2. Advent stattfand, war ein Großereignis für Alt und Jung. Große Hilfen durch all die Jahre waren viele Eltern bei Transporten, Kuchenbacken,... - auch als Spender von Tannen für Gestecke, Gebasteltem, Plätzchen und vielem mehr. Früh, noch bei Dunkelheit wurden die Eisenstangen der Parkbrauereistände zusammengebaut, die Zelte aufgestellt und beim Bäcker 50 kg Mehl zu Waffelteig verrührt. Zwei Zentner Kartoffeln für die Hoorichen waren schon am Vorabend geschält, die 200 Gläser mit Apfelgelee und Brombeermarmelade waren während der „Freizeit am Ort" gefüllt worden. Viele Erwachsene hatten weiteres Gelee, Weihnachtsgebäck, Gebasteltes u.a.m. beigesteuert. Jährlich wurde eine Flickeldecke „amerikanisch" versteigert. Eifrige Hände hatten dafür 10x10 cm große Quadrate aus Wollresten gestrickt. An einem Stafette-Gruppenabend gab's in 2 Gruppen ein Wettstricken. Es ging darum, wer zuerst ein Quadrat fertig hatte. Da gab's viel Gelächter, weil jeder - auch die Jungs - mindestens eine Reihe stricken mussten. Fleißig beim Bazar waren auch die Kleinsten von Kindergottesdienst und Flötengruppen. Mit ihren Sammelbüchsen verkauften sie die „teuersten Orangen der Stadt". Über 50 Mitarbeiter, einschließlich der Posaunenbläser, die den Tag mitgestalteten, waren im Einsatz. Der Erlös, der dank der vielen Spenden ohne Abzüge weitergegeben wurde, betrug bis weitergegeben wurde, betrug bis zu 12.000 DM. Das Geld ging meist an ein bestimmtes Projekt der Kindernothilfe. Einer der Jugendlichen meinte: "Das ist so wichtig, dass wir beim Bazar etwas Praktisches tun".

Es ist schon enorm, wunderbar, was Gruppen, Presbyter, Eltern in diesen fast 20 Jahren geleistet haben. Im Nachhinein staune ich über eine von Gott mit Möglichkeiten reich gesegnete Zeit. Manchmal bin ich auch traurig über Versäumtes. Doch weiß ich, dass ich alles in Gottes Fürsorge lassen darf. So freue ich mich sehr über die Einladung zu einem Treffen der „Ehemaligen" anlässlich des Lutherkirchen-Jubiläums. Mögen viele Menschen die Aufforderung des stündlichen Glockenspiels der Lutherkirche wahrnehmen und wach sein für die Möglichkeiten, die Gott segnen und mehren kann.

Dorle Marx

Turmaufstieg mit Hindernissen

1960

1960 fing ich beim Prot. Gemeindeamt an zu arbeiten. Das Büro befand sich im Erdgeschoß des heutigen Pfarrhauses, Hauptstraße 58.

Im selben Jahr wurde die Turmzier der Lutherkirche aufgesetzt. Ein Gerüst umgab nun den Turm. Ach, wäre ich so gerne einmal zur Spitze hochgeklettert. Architekt Walter Jung und mein Chef Adolf Theysohn wollten mir diesen Wunsch gerne irgendwann erfüllen. Da zu der damaligen Zeit das Tragen von Hosen während der Arbeitszeit für kirchliche Angestellte nicht erlaubt war, wurde die „Hose in der Leinentasche" fast meine tägliche Begleiterin. Eines Tages, es war windig und regnerisch, nahm ich die ,Hosentasche' nicht mit ins Büro. Ausgerechnet da kam mittags die Sonne hervor und ich wurde aufgefordert, mit auf den Turm zu kommen. Hurra, darauf wartete ich ja schon die ganze Zeit. Ausgerechnet jetzt hatte ich keine Hose dabei, dafür aber einen weiten Rock an; dies hielt mich aber nicht davon ab, hochzuklettern. Walter Jung ging voran und Adolf Theysohn musste hinter mir mit meinem weiten Rock „kämpfen". Lachend kam ich oben an. Was für ein herrlicher Ausblick! Der Abstieg war nun für mich schwieriger, da ich öfter auf meinen Rock trat, aber ich kam frohgelaunt und glücklich wieder unten an. Die beiden Herren meinten nur, es hätte ihnen ja so viel Spaß gemacht, mit mir auf den Turm zu klettern.

Dieses Erlebnis werde ich mein Lebtag nicht vergessen.

Ursula Leilich

Die Lutherkirche - 15 Jahre Heimat der Christlichen Pfadfinder

1945, der Krieg war zu Ende. Hunger und Wohnungsnot bestimmten das Leben in unserer weitgehend zerstörten Stadt. Die Kirchen, deren Gemeindeeinrichtungen fast alle den Bomben zum Opfer gefallen waren, halfen, so gut es ging, vor allem jungen Menschen. Für diese war nach 12 Jahren nationalsozialistischer Erziehung oft mehr zerbrochen als ein gewohntes Stadtbild. Erste Gruppen der Gemeindejugend trafen sich in Pfarr- und Privathäusern oder im nur teilweise zerstörten Paulussaal. 1947/48 entstanden nach über zehnjähriger Verbotszeit auch wieder die ev. Jugendwerke CP und CVJM. Nach dem Wiederaufbau der Lutherkirche erhielten wir CP-ler 1950 einen kleinen Seitenraum des Kirchturms, etwa 15m² groß und unbeheizt. Aber wir waren froh darum. Im Winter behielten wir unsere Anoraks an und besorgten uns einen kleinen Elektroheizer. Hier trafen sich die verschiedenen Sippen (Pfadfindergruppen) von jeweils 8 - 10 Jungen. Waldläufertechnik, Bibelarbeit und Jugendliteratur gehörten zum Programm der Sippenstunden. Viele Fahrten- und Feierlieder wurden auswendig gelernt und gesungen, Wochenendfahrten und Lager wurden im Turm vorbereitet. Großfahrten führten die Älteren mit dem Rad bis nach Italien und Spanien. Eine Brief- und Paketaktion unterstützte die Junge Gemeinde in der DDR, es entwickelten sich Freundschaften im In- und Ausland, die bis heute halten. Unter den Älteren wurden die Entwicklungen der Zeit heftig diskutiert. Mit der Einführung der Wehrpflicht 1956 kam aus unserem Stamm dann auch der erste Verweigerer in Pirmasens. In unserem Schaukasten an der Lutherkirche luden wir zum Mitmachen ein. Wollte sich der ganze Stamm treffen, war der Raum allerdings zu klein und man zog in den Fahr'schen Wald. Die „Wölflingsmeute" der 9 bis 11jährigen Jungen, ebenfalls zu groß, traf sich samstags in der Notkirche hinter der Johanneskirche. 1957 entstand das Gemeindehaus an der Schäferstraße. Hier bekamen wir für unseren CP-Stamm einen großen Jugendraum, den wir mit einer viel beachteten Ausstellung in Dienst nahmen. Ein anderer Raum des Hauses stand dem EMP, dem ev. Mädchen-Pfadfinder-Bund zur Verfügung. Unsere Raumprobleme waren gelöst, eine rege Pfadfinderarbeit möglich. 1965 verlegte der CP-Stamm seine Aktivitäten in die neu entstandene Matthäusgemeinde. Er nannte sich jetzt nach dem amerikanischen Bürgerrechtler „Martin-Luther King" und nahm auch Mädchen auf. Die CP, später VCP, wirkte auf dem Kirchberg weitere 15 Jahre und unterstützte dort die ökumenischen Aktivitäten der Kirchengemeinden. Ein typisch Pirmasenser Problem brachte die Arbeit zum Erliegen: Fähige junge Erwachsene, auf deren künftige Mitarbeit man gehofft hatte, mussten aus beruflichen Gründen aus der Stadt wegziehen. Geblieben ist ein Kreis älterer CP-ler, die sich zum „Trägerkreis Wolfssäge e. V." zusammenschlossen.

Gerhard Heil

Gottesdienst im oberen Lederlager

Heute, am Sonntag, 28. April 1996 erzählte mir Herr Klaus Junker, Kirchbergstraße, ehemaliger Lederhändler, dass er am 3.April 1949 in der Behelfskirche bei uns im zweiten Stock der Höhstraße 4 konfirmiert wurde. Es habe damals geheißen: „wer sitzen will, muss einen Stuhl mitbringen". Das galt sicher nur für die Konfirmanden oder in den ersten Tagen, denn der Saal war von vorne bis hinten mit einfachen Gartenbänken, ähnlich denen die heute die 'Parkbräu' verleiht, bestückt. Die Gottesdienste waren meistens gut besucht und bei solch einem Fest sicher brechend voll. Wenn man die breite Treppe hochkam und durch die damalige Holztür gegangen war, sah man ganz vorne auf der weiß getünchten Wand ein mit schwarzer Farbe aufgemaltes großes Kreuz. Beim Bombenangriff am 9. August 1944 wurde die „Unterste Kirche" - heute: „Lutherkirche" - ausgebombt. Daraufhin stellte unser Vater der evangelischen Kirchengemeinde den Lagersaal im zweiten Stockwerk (1.OG) als Behelfskirchensaal zur Verfügung. Wir hatten bei den Fliegerangriffen Glück, denn am Firmengebäude waren nur Fensterscheiben, das Ziegeldach und im heutigen Musterzimmer Teile der Stuckdecke und die rechte Wand durch Bombensplitter beschädigt. Wir bauten im oberen Lager die deckenhohen Holzregale für Oberleder ab, schafften die großen Sortiertische aus dem Raum, vorne wurde ein großes Kreuz schwarz auf die Wand gemalt und eine Art Brauereibänke wurden aufgestellt. Blickrichtung weg vom Aufzug. Oh Schreck, was war da für ein Echo. „Da versteht ja niemand den Pfarrer". Es war nicht zu ändern, es war halt so. Aber welche Freude herrschte als der Saal voll mit Leuten war: Das Echo war weg. Es gab ja nichts zum Heizen. Also machten wir in unserem eigenen Wäldchen Holz, schauten, dass wir da und dort noch ein Scheit bekamen und wichtig war der sogenannte "Schwemmkoks" den man ohne Bezugsschein bekam, Verbindungen vorausgesetzt. Bei der Herstellung von Koks fällt harte, schwere Schlacke an, teils fast glatt wie Glas. Dazwischen war noch etwas Koks. Also wurde das Ganze in ein Wasserbassin geschafft und der nach oben schwimmende Koks war Schwemmkoks. Patschnass, aber das gab sich. Jedenfalls war der Saal sonntags "überschlagen", nach heutigen Gewohnheiten keinesfalls warm. Nach dem Gottesdienst zählten 2 Presbyter die Spenden - ob Vater auch zu dieser Zeit Presbyter war, das weiß ich nicht. Manchmal war ich "Hilfszähler". Zwei Mann saßen sich gegenüber auf einer der schmalen Bänke, das Geld wurde in die Mitte gekippt, sortiert, gezählt, aufgeschrieben und abgeliefert. Unserem braven Lagerarbeiter Georg Ziliox war keine Mühe zu groß, um den Saal anzuwärmen. Der große Heizkessel musste ja erst mal Dampf kriegen und den hinauf in die Heizkörper drücken. Deshalb musste er samstags am Abend Feuer machen und sonntags früh aus den Federn. (Mit der Wiederindienststellung 1949) war auch das Ende der Notkirche bei uns erreicht. Wir bauten die hohen Holzregale an der Wand und die Mittelregale wieder auf. Im Laufe der Jahre danach sprachen mich vor dem Firmengebäude Menschen an und sagten mir, dass sie „do drowe" oder „do drin" geheiratet haben oder konfirmiert wurden.

Ludwig Bourguignon

Kinderkirche in den Nachkriegsjahren

Geboren wurden wir während des Krieges, oft war der Vater an der Front oder in Gefangenschaft, die Mutter mit den Kindern allein. Viele hatten Hab und Gut verloren. Unsere Kindheit war geprägt von den Folgen des Krieges, wir waren: Nachkriegskinder. Unsere Spielplätze waren die Straße oder die Trümmergrundstücke, aber das war für uns selbstverständlich. Autos fuhren noch nicht viele und wir steckten voller Ideen und Einfällen um aus dem, was wir hatten, etwas zu machen oder neue Spiele zu erfinden. Vor allen Dingen hatten wir eines: viele Freunde und Spielkameraden! Wir mussten nicht allein zu Hause vor Fernseher oder Computer sitzen. Dann hatten wir noch eins: Wir hatten unsere Kinderkirche! Jeden Sonntag um 11 Uhr war Kindergottesdienst in der Lutherkirche. Für die Eltern war es keine Frage, diese Stunde in das Sonntagsprogramm einzubeziehen, und wir Kinder wagten ohnehin nicht zu widersprechen. Ausgestattet mit 10 Pfennig Opfergeld machten wir uns auf den Weg. Was hätte man mit diesen 10 Pfennig alles anstellen können: Ein kleines Tütchen mit diesen wunderbaren roten Erdbeergutseln oder ein paar Klicker (Murmeln), oder sogar eine „Brull" (eine größere Murmel aus Glas). Aber die Angst entdeckt zu werden, oder auch das schlechte Gewissen verscheuchten diese Gedanken und die 10 Pfennig wanderten natürlich in den Opferkasten. Es waren viele Kinder, die sich sonntags in der Kinderkirche einfanden. Wir saßen in 5 Gruppen verteilt, jeweils betreut von Helferinnen und Helfern: Vorne links auf der Seite war Lena Gerst, mit einer Gruppe Buben. Dahinter auf der linken Seite war Elsbeth Eisenmann mit ihrer Gruppe, auch Buben. Im mittleren Teil der Kirche war die größte Gruppe bei der Lehrerin Emmi Westerkamp mit den Mädchen. Auf der Seite rechts vorne war Lehrer Otto Pardall mit seinen Buben. Die Gruppe hinten rechts waren Mädchen bei Johanna Sehnert. Pfarrer Heinrich Froelich hielt seine Eingangsliturgie und las das Bibelwort für den Sonntag vor. Dann wurden in den Gruppen die Köpfe zusammengesteckt, und unsere Betreuerinnen und Betreuer erklärten uns mit verständlichen Worten den Sinn des Bibeltextes und erzählten uns die Geschichten von Jesus. Danach war wieder der Pfarrer an der Reihe und fragte uns ab über das, was wir gerade gehört hatten. Wir meldeten uns eifrig und waren stolz, wenn wir richtig antworten konnten. Natürlich wurde im Gottesdienst auch gesungen. Wir haben viele Kirchenlieder gelernt und hatten als Hausaufgaben immer einige Strophen auf. Noch heute freue ich mich, wenn ich mein Wissensgut von damals im Gottesdienst umsetzen kann. Höhepunkte waren die kirchlichen Feste, an erster Stelle natürlich die Adventszeit und Weihnachten. Zu jedem Weihnachtsfest übten wir ein Krippenspiel ein, das vor den Erwachsenen bei der Weihnachtsfeier, am 4. Advent nachmittags, aufgeführt wurde. Es war für uns eine Ehre, wenn wir eine Rolle bekommen hatten und mitspielen durften. Dann erhielten wir noch ein Weihnachtsgeschenk. Die Spannung war groß, was es wohl sein würde, und wir freuten uns riesig. Noch heute erinnert mich die kleine Tasse mit Untertasse und Kuchenteller mit Märchenfiguren an diese schöne Zeit. Jetzt, zur Goldenen Konfirmation, haben sich viele wiedergesehen, die sich seit damals aus den Augen verloren hatten und wir haben bei unseren Erinnerungen festgestellt, dass wir gar keine so „armen Nachkriegskinder" waren.

Hilde Kuntz